Ska Keller zu Besuch
Zur Veranstaltung „Europäische Flüchtlingspolitik zwischen Integration und Ausgrenzung“ des grünen Kreisverbands kam die Europa Abgeordnete Ska Keller nach Fulda. Frau Keller ist, zusammen mit dem Belgier Philippe Lamberts, Fraktionsvorsitzende der Fraktion Die Grünen / Europäische Freie Allianz im Europaparlament.
Wir nutzten die Gelegenheit zu einem Interview.
KV Fulda: Frau Keller, wie sieht es denn nun aus mit der euopäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik? Man hat ja den Eindruck, dass da vor allem große Uneinigkeit herrscht.
Ska Keller: In den letzten Jahren gab es ein paar Fortschritte in der eurpopäischen Asylpolitik und ich muss sagen, dass das europäische Parlament, auch wenn die Konservativen die Mehrheit haben, relativ progressiv ist.
Problem in der Flüchtlignspolitik ist aber der fehlende politische Wille bei den Mitgliedsstaaten, d.h. den Regierungen. Es gibt Länder, die sich nicht an die im September 2015 getroffene Vereinbarungen zur Flüchtlingsumverteilung halten wollen. Von den 160.000 Flüchtlinge, die über die Staaten der EU verteilt werden sollten, ist das bisher nur für 23.000 Menschen gelungen.
Weil Ungarn, Polen und Tschechien die Umverteilung der Flüchtlinge aus Griechenland und Italien boykottieren, hat die Eu-Kommission Vertragverletzungsverfahren gegen diese Länder eingeleitet.
Es kann nicht hingenommen werden, dass man sich einfach aus der europäischen Verantwortung ausklinkt und es ist auch Unsinn, wenn behauptet wird, dass die eigene Identität wegen ein paar tausend aufgenommenen Flüchtlinge gefährdet wäre.
Aber auch die Bundesrepublik hat bisher nur 1/5 ihrer Verpflichtungen erfüllt. Es ist ganz schrecklich zu sehen, wie Flüchtlinge, darunter viele unbegleitete Minderjährige, monatelang auf ihre Umverteilung in völlig überfüllten griechischen Lagern warten müssen.
KV Fulda: Nachdem noch vor 2 Jahren die Anerkennungsquote von Afghanen relativ hoch war, fanden jetzt immer wieder Abschiebungen nach Afghanistan statt. Wir haben gehört, dass auch in Fulda junge Afghanen, die hier in die Schule gehen, Abschiebebescheide bekommen haben.
Ska Keller: Die Europa- und die Bundesgrünen lehnen ganz deutlich Abschiebungen nach Afghanistan ab. Das Land ist nicht sicher. Es gab Anfragen der Grünen dazu im Bundestag mit der Bitte die Orte zu nennen, die sicher sein sollen. Da wurden dann auch Orte genannt, die gar nicht in Afghanistan liegen.
Aber an sich ist die Bewertung, ob ein Land sicher ist oder nicht, allein Sache des Außenministeriums. Und wenn das Ministerium meint ein Land oder Teile davon seien sicher, ist Abschiebung möglich. Die Bundesländer können das höchstens verzögern. Es soll aber im September einen neuen Lagebericht geben.
KV Fulda: In Zeitungen, auch in der hiesigen Zeitung wurde berichtet, dass sie gefordert hätten, ganze syrische Dörfer nach Osteuropa umzusiedeln. Ist das wahr?
Ska Keller: So wie das geschrieben wurde, vor allem in den Überschriften, ist das eine Falschmeldung. Hintergrund waren Überlegungen unser Fraktion zur Neugestaltung und Verbesserung der Dublin Regeln. Es ist klar, dass Menschen generell nicht gerne ganz alleine in ein Land gehen wollen. Sie gehen eher dahin, wo es schon andere Landsleute gibt oder in ein Land, zu dem sie eine besondere Beziehung haben. Deshalb kann es sinnvoll sein, wenn man Menschen in Gruppen umverteilt. Aber natürlich kann man kein Land zwingen ganze Dörfer von Flüchtlinge zu nehmen.
Ein Effekt diese Interviews ist aber (lächelt), dass mich jetzt viele Menschen in Osteuropa kennen. Die ungarische Regierungspartei hat extra zu dieser angeblichen Forderung von mir eine Pressekonferenz gemacht.
KV Fulda: Ja, und wie sieht es denn nun mit der Neugestaltung der Dublin Regeln aus? Es ist doch klar, dass die alten Regeln nicht funktionieren.
Ska Keller: Vor allem die Regel, dass das Land, in das Flüchtlinge zuerst kommen, für diese zuständig sein soll, ist auch unsolidarisch den Ländern gegenüber zu denen die Flüchtlinge aus geographischen Gründen zuerst kommen. Man kann Griechenland, Italien, Spanien oder Malta nicht einfach mit dem Problem allein lassen. Im Moment ist es aber so, dass die bisherigen Vorschläge der europäische Kommission zu einer Verschlechterung sowohl für die Flüchtlinge als auch für die betroffenen Länder führen würden. Ich hoffe, dass die Kommission sich da nicht durchsetzen kann, denn das Parlament ist, wie ich sagte, trotz seiner konservativen Mehrheit eher progressiv eingestellt.
KV Fulda: Wie sieht es denn mit der Bekämpfung der Fluchtursachen aus? Welche Überlegungen gibt es denn da? Gibt es da Fortschritte?
Ska Keller: In diesem Punkt ist es sehr viel schwieriger Übereinstimmung zu erzielen. Gerade die europäische Handels- und Agrarpolitik gehen in genau die falsche Richtung und sind mit veranwortlich für die Fluchtbewegungen. Da kommen aber dann die einzelnen Interessen der Länder ins Spiel und deshalb ist dann dort eine vernünftige Mehrheit nur schwer herzustellen. Aber immerhin ist die Bedeutung der Fluchtursachen der Öffentlichkeit wenigstens deutlich geworden.